Ziviler Ungehorsam mit Symbolkraft

© Archiv Bürgerbewegung Leipzig / doku 001.008
Gedenken ist oft mit Trauer verbunden – das Gefühl, dass etwas Wichtiges verloren gegangen ist. Aber was, wenn Trauer auch der Anfang von Veränderung sein kann? Was, wenn man durch das Erinnern an das, was war, etwas bewegen und Forderungen stellen kann? Genau das haben Umweltaktivist:innen in Leipzig in den 1980er-Jahren versucht. Sie haben mit ihrem Protest nicht nur an den Verlust von etwas Gutem erinnert, sondern auch laut und deutlich Veränderungen gefordert. In diesem Modul schauen wir uns an, wie dieser „Gedenk-Protest“ aussah und ob wir heute noch etwas daraus lernen können!
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Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=eU-ZDMhokD8 / @johnnielawson
Aufgabe: Schaut euch das Video oben für 20 bis 30 Sekunden an. Stellt euch dann die Frage: Wie beeinflusst ein Fluss die Menschen und Tiere, die in seiner Nähe leben? Erstellt dazu eine Mindmap. Ihr könnt sie auf Papier zeichnen oder online erstellen, zum Beispiel mit diesem Tool. Seid kreativ und lasst eure Gedanken sprudeln – genau wie der Fluss!
1. Einleitung
Es ist der 5. Juni 1988, ein warmer Frühsommertag in Leipzig – perfekt, um durch den Park zu spazieren. Doch an diesem Tag fällt eine bestimmte Gruppe auf: Rund 200 Menschen gehen gemeinsam durch den Park. Sie tragen Plakate, halten kurze Reden und scheinen nicht nur wegen des Wetters hier zu sein. Tatsächlich haben sie sich für den „1. Pleißegedenkmarsch“ zusammengetan, eine Aktion, um gegen die schlimmen Umweltbedingungen in der DDR zu protestieren.
Was sie vielleicht überrascht hat: Die Polizei griff nicht ein und niemand wurde festgenommen. Dieser Erfolg machte ihnen Mut und sie planten für das nächste Jahr einen zweiten Marsch. Doch diesmal ging die Regierung dagegen vor und verbot die Aktion. Schon vorab wurden einige Aktivisten verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Trotzdem ließen sich die Menschen nicht abschrecken: Mehr als 1.000 Personen kamen zu Gottesdiensten und Demonstrationen zusammen, um ihren Protest zu zeigen. Sie wollten nicht länger über die großen Umweltprobleme in der DDR schweigen.
Aufgabe: Mission Pleiße – Auf Spurensuche in Leipzig!
Aufgabe: Stell dir vor, du bist ein Entdecker und suchst die Pleiße in Leipzig. Öffne dazu OpenStreetMap und finde zuerst die Stadt Leipzig. Dort spürst du die Pleiße und den Pleißemühlgraben auf. Der Pleißemühlgraben biegt kurz vor der Mündung ins Elsterflutbett nach rechts ab – schau genau hin!
Deine Mission: Verfolge den Verlauf des Pleißemühlgrabens. Dabei wirst du auf Hindernisse stoßen – Straßen, Gebäude oder vielleicht unklare Stellen auf der Karte. Beschreibe, welche Schwierigkeiten du entdeckst und warum es knifflig sein könnte, den Verlauf zu verfolgen. Du kannst dafür z.B. dieses Tool verwenden.

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Urheber: Martin Geisler, Lizenz: CC 3.0 BY-SA, Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Connewitz_Flo%C3%9Fgrabenm%C3%BCndung.jpg
2. Die Pleiße – Leipzigs Lebensader
Früher war die Pleiße ein richtig wichtiger Fluss für Leipzig! Sie schlängelte sich mitten durch die Stadt und war unverzichtbar: Sie lieferte Wasser für die Menschen und war ein praktischer Transportweg. Doch im 19. Jahrhundert veränderte sich alles: Leipzig wuchs, Fabriken entstanden und immer mehr Abwässer landeten in der Pleiße. Aus dem einst lebenswichtigen Fluss wurde ein stinkender Abwasserkanal.
Die Pleiße wird versteckt
In den 1950er-Jahren hatte Leipzig ein Problem: Der Fluss stank zum Himmel. Die Lösung? Man schüttete die Pleiße teilweise zu und packte sie in Rohre unter die Erde. Aber das brachte neue Probleme: Pflanzen und Tiere, die im Fluss lebten, hatten keinen Platz mehr. Das Ökosystem der Pleiße zerbrach, und das Wasser wurde noch dreckiger.
Ein Team gegen den Dreck
Dann kam die Arbeitsgruppe Umweltschutz (AGU) auf den Plan! 1981 gründete sich in Leipzig eine Gruppe von Menschen, die sagten: „So kann es nicht weitergehen!“ Sie wollten die Natur retten, auch die Pleiße. Zuerst kümmerten sie sich um lokale Probleme, doch ab 1988 nahmen sie sich sogar die Umweltprobleme in der ganzen DDR vor. Ein echter Kampf für die Natur und die Menschen!
Ich konnte nicht zusehen, wie die Natur zerstört wurde – das wollte ich ändern.“
(Christoph Motzer, Mitglied verschiedener Leipziger Oppositionsgruppen und Fotograf der „Szene“)

Unser Interviewpartner Christoph Motzer war in den 1980er-Jahren in Leipziger Oppositionsgruppen aktiv. Besonders bewegte ihn, dass viele Menschen gleichgültig gegenüber Umweltproblemen waren und wie stark die Umwelt durch den Braunkohletagebau zerstört wurde. Diese Erlebnisse motivierten ihn, sich aktiv für den Umweltschutz einzusetzen. Hört euch an, was er über seine Gründe erzählt.
Bild: Archiv Bürgerbewegung Leipzig / Pia Pfeiffer
Quiz: Sauber oder Verschmutzt?
Ziehbild: Die Pleiße im Wandel…1977 vs. 2015 – Deine Aufgabe unter dem Bild!
Aufgabe: Schau dir das Ziehbild an, das die Pleiße in zwei verschiedenen Jahren zeigt: 1977 und 2015. Was fällt dir auf? Wie sah der Fluss 1977 aus und was hat sich bis 2015 verändert? Denk mal darüber nach, welche Unterschiede siehst du? Du kannst deine Beobachtungen zu diesen Unterschieden ganz einfach in diesem Tool festhalten.
3. Der erste Pleiße-Gedenkmarsch 1988
„Das Ziel war es, das schmutzige Pleißewasser sichtbar zu machen, und das haben wir mit einfachen Mitteln, wie dem Vergleich von Leitungswasser mit Pleißewasser, erreicht.“
(Christoph Motzer, Mitglied verschiedener Leipziger Oppositionsgruppen und Fotograf der „Szene“)
Audio/Bildmontage: Christoph Motzer über den Pleiße-Gedenkmarsch
5. Juni 1988: Der erste Pleiße-Protest – Ein Zeichen setzen!

1988 organisierten Mitglieder der Arbeitsgruppe Umweltschutz (AGU) und der Leipziger „Initiativgruppe Leben“ den ersten Pleiße-Gedenk-Umzug in Leipzig. Sie verteilten Plakate und Flugblätter, um zur Teilnahme einzuladen. Am 5. Juni 1988, dem offiziellen Weltumwelttag, versammelten sich etwa 200 Menschen, um gegen die gravierende Umweltverschmutzung durch die Pleiße zu protestieren.
An einer Stelle entlang des Flusses stellten die Aktivisten Tafeln auf, die die Umweltprobleme zeigten, und nahmen eine Wasserprobe, um die schlechte Wasserqualität zu verdeutlichen.
Bild: Plakat zum 1. Pleißegedenkmarsch 1988: Treffpunkt am 5. Juni um 14 Uhr, Sportplatz Teichstraße, Connewitz. Mit Fischskelett und Blättern als Zeichen für Umweltbewusstsein – das Motto: Sei dabei und setz ein Zeichen!
Plakat: Archiv Bürgerbewegung Leipzig / Plakat 00010
„Rückblickend denke ich, hätten wir ein Transparent mit ‚Pleiße sauber‘ dabei gehabt, hätte das mehr Wirkung gezeigt – aber wir wollten keine unnötige Aufmerksamkeit der Staatsmacht auf uns ziehen.“
(Christoph Motzer, Mitglied verschiedener Leipziger Oppositionsgruppen und Fotograf der „Szene“)
Sortieraufgabe: Wie lief das alles ab?
Vertiefung: Weltumwelttag – (D)ein Tag für den Planeten

Der Weltumwelttag ist jedes Jahr am 5. Juni und wurde von den Vereinten Nationen ins Leben gerufen, um Menschen weltweit zu zeigen, wie wichtig es ist, die Erde zu schützen. Seit 1972 wird dieser Tag in über 150 Ländern gefeiert und jedes Jahr hat das Event ein eigenes Thema. 2023 ging es zum Beispiel darum, Plastikmüll zu bekämpfen – ein riesiges Problem für die Natur. Der Weltumwelttag 2024 trug den Slogan „Unser Land. Unsere Zukunft. Wir sind #GenerationRestoration“. Er konzentrierte sich auf die Wiederherstellung von Landflächen, die Bekämpfung der Wüstenbildung und den Aufbau von Dürreresistenz. Das Ziel war es, Lösungen zu finden, die die Erde vor den Auswirkungen des Klimawandels schützen und unsere Zukunft sichern. Der Weltumwelttag soll uns zeigen, dass jeder etwas tun kann, um die Umwelt zu schützen – egal ob durch kleine Aktionen vor der eigenen Haustür oder durch große Projekte, die viele Menschen einbeziehen.
4. Der zweite Pleiße-Gedenkumzug 1989

Alles geplant, doch dann das Verbot: Der Pleiße-Gedenkumzug 1989 war ein wichtiger Protest gegen die Umweltverschmutzung und die politischen Missstände in der DDR. Er sollte am 4. Juni 1989 stattfinden, wurde aber zehn Tage vorher von den Behörden verboten. Die Regierung versuchte, den Protest zu verhindern, indem sie über 60 Mitglieder der veranstaltenden Gruppen kurz vor dem Umzug verhaftete oder unter Hausarrest stellte.
Die Leute kommen trotzdem: Trotz der Verbote versammelten sich über 1.000 Menschen zum Eröffnungsgottesdienst in der Paul-Gerhard-Kirche. Die Teilnehmer wollten danach in einem „Pilgermarsch“ zur Reformierten Kirche ziehen. Doch die Polizei blockierte den Marsch mit Absperrungen, Einkesselungen und Verhaftungen, was große Aufmerksamkeit erregte.
Rund 400 Menschen nahmen dann am zweiten Gottesdienst teil. Der Protest gegen die Umweltverschmutzung wurde so zu einem Symbol für den Widerstand gegen die politischen Missstände in der DDR. Diese Ereignisse zeigen, wie aus der Umweltbewegung eine breitere Protestbewegung gegen das System der DDR wurde.
Plakat: Archiv Bürgerbewegung Leipzig / Plakat 00011
Quizfrage: Was war diesmal anders?
Quiz: Ablauf des zweiten Pleiße-Gedenkumzugs
Hinweise: Lies die Fragen sorgfältig durch, bevor du eine Antwort auswählst. Jede Frage hat nur eine richtige Antwort. Klicke auf die Antwort, die du für richtig hältst.
Aufgabe: Was denkt ihr, warum wurde der zweite Pleiße-Gedenkmarsch verboten? Und warum trauten sich trotzdem so viele Menschen, daran teilzunehmen? Diskutiert diese Fragen in der Gruppe.
5. Die Bedeutung der Pleiße-Gedenkumzüge
„Was wir erreicht haben, ist, dass es nicht mehr stinkt wie 1988 – aber viel mehr hat sich leider auch nicht getan.“
(Christoph Motzer, Mitglied verschiedener Leipziger Oppositionsgruppen und Fotograf der „Szene“)

Protest für Umwelt und Freiheit: Die Pleiße-Gedenkumzüge 1988 und 1989 waren wichtige Aktionen der Opposition in der DDR. Der erste Umzug 1988 machte auf die Umweltprobleme der Pleiße aufmerksam und forderte Verbesserungen. Der zweite Umzug 1989 setzte die Forderungen nach Umweltschutz fort und zeigte, wie hilflos der DDR-Staat darauf reagierte. Beide Umzüge spielten eine wichtige Rolle in der Friedlichen Revolution. Sie machten die politischen Probleme in der DDR sichtbar und zeigten den Wunsch nach einer besseren Zukunft.
Bessere Wasserqualität: Die Wasserqualität der Pleiße hat sich verbessert und der Fluss riecht nicht mehr so stark. Doch es gibt weiterhin Probleme. Bei Projekttagen, die das Archiv Bürgerbewegung Leipzig regelmäßig zu diesem Thema organisiert, arbeiten wir mit Schulen zusammen. Die Chemielehrerinnen und -lehrer führen dabei Wasseranalysen durch. Diese Analysen zeigen einen Wert, der problematisch bleibt: Natriumnitrit. Dieser kommt von Düngemitteln aus der Landwirtschaft.
Bild: Archiv Bürgerbewegung Leipzig / Pia Pfeiffer
Was ist der Sinn einer Demonstration?
Was ist eigentlich der Sinn einer Demonstration? Ordne die Bedeutung, die eine Demonstration haben kann, für dich selbst nach Wichtigkeit ein.
Aufgabe: Was denkst du über Christoph Motzers Zitat? Christoph Motzer sagt: „Was wir erreicht haben, ist, dass es nicht mehr stinkt wie 1988 – aber viel mehr hat sich leider auch nicht getan.“ Was hältst du von diesem Zitat? Schau dir nochmal den Text und die Aufgabe an, und überlege, ob du glaubst, dass Umweltproteste etwas verändern können. Denk darüber nach, warum es wichtig ist, sich für die Umwelt einzusetzen – und ob du auch etwas für die Natur tun möchtest! Schreibe deine Gedanken dazu auf. Du kannst dafür dieses Tool verwenden.
6. Klimawandel und Co.: Kann ein lokales Problem den globalen Wandel starten?
In den 1980er-Jahren in Leipzig ging es zunächst um etwas ganz Kleines: Die Fische im Fluss. Doch aus diesem lokalen Thema wurde plötzlich ein riesiges politisches Thema: die Umweltpolitik der DDR und das Verhältnis zwischen Staat und Bürger:innen. Eigentlich nicht so geplant, aber es hat richtig etwas bewirkt!
Heute stellt sich die Frage: Kann das auch heute noch klappen? Es gibt genug Umweltprobleme wie den Klimawandel oder das Artensterben. Doch die Menschen, die sich für den Schutz der Umwelt einsetzen, kämpfen oft damit, andere zu erreichen. Braucht es ein „kleines“ Problem vor der Tür, um ein „großes“ globales Thema wie den Klimawandel zu bekämpfen?
Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, mit einem „kleinen“ Problem vor der Tür zu starten, um dann die großen globalen Themen wie den Klimawandel anzugehen. Wenn wir in unserer Stadt zum Beispiel die Luft verbessern oder den Müll reduzieren, können diese kleinen Aktionen eine riesige Bewegung anstoßen. Wenn immer mehr Menschen sehen, dass sie etwas verändern können, wächst der Wandel – und aus lokalen Ideen könnten globale Lösungen entstehen!
Galerie: Umwelt im Blick – Wie geht es uns heute?
Aufgabe: Diskutiert gemeinsam folgende Fragen. Für die Bearbeitung und für Notizen könnt ihr dieses Tool nutzen:
- Ist Umweltprotest wirksamer, wenn er sich auf ein Problem vor Ort bezieht? Oder können globale Probleme wie der Klimawandel oder das Artensterben nur über internationale Bewegungen wie Fridays for Future oder Organisationen gut angesprochen werden? Kannst du ein Beispiel aus deiner Umgebung finden, bei dem ein globales Problem lokal angesprochen wird?
- Kannst du ein konkretes Beispiel aus deiner Umgebung finden, bei dem ein globales Umweltproblem wie der Klimawandel oder das Artensterben sichtbar wird? Wie könnte dieses Problem auf lokaler Ebene angegangen werden?