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Eine Mark für Espenhain

Kreativer Protest in der DDR

Eine DDR-Mark – aber die Unterschrift ist viel wichtiger als das Geld.
© Archiv Bürgerbewegung Leipzig

Protest beginnt oft mit dem Wunsch, etwas zu verändern. Doch oft reicht das nicht – es braucht auch Aktivismus und vor allem Kreativität und Einfallsreichtum. In der DDR war das besonders wichtig, um der strengen staatlichen Kontrolle zu entkommen. Aber auch heute muss man sich etwas einfallen lassen, damit Protest überhaupt gehört wird. Kann die Kreativität des DDR-Protests uns heute noch etwas beibringen? Finden wir es heraus!


1. „Die Luft, die wir atmen…“ – Umweltproteste in der DDR

Ziehbild: Was verbirgt sich hinter dem Smog?

In den 1980er-Jahren hatte die DDR ein großes Umweltproblem – die Luft und das Wasser waren durch Braunkohlekraftwerke und Fabriken stark verschmutzt, was viele krank machte. Trotz strenger Umweltgesetze wurden diese oft ignoriert, und wichtige Umweltdaten wurden geheim gehalten. 1982 gründeten Menschen in Rötha, südlich von Leipzig, das „Christliche Umweltseminar Rötha“ (CUR), um gegen die Luftverschmutzung durch das nahegelegene Braunkohleveredlungswerk Espenhain zu kämpfen. Der Ort war kein Zufall, denn die Luft war dort besonders schlecht.


2. Das Braunkohleveredlungswerk in Espenhain: Umweltalarm im Leipziger Umland

Galerie: Luftverschmutzung in Espenhain, einem Ort im Leipziger Umland

Das Braunkohleveredlungswerk in Espenhain (BVE), südlich von Leipzig, wurde zwischen 1936 und 1942 gebaut. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es fast zerstört, ging aber bereits kurz nach Ende des Krieges wieder in Betrieb. Die Umweltschäden, die das Werk verursachte, wurden in der DDR als „Erbe des Faschismus“ bezeichnet und sollten eigentlich bald behoben werden.

1965 plante die Regierung, das Werk 1975 stillzulegen. Doch wegen der Ölkrise entschied 1972 der Staatschef der DDR Erich Honecker das Werk weiterlaufen zu lassen. Anfang der 1980er-Jahre war die Luftverschmutzung so schlimm, dass die Schadstoffe die Grenzwerte um das Tausendfache überschritten und Hunderttausende Menschen betroffen waren. Im nahegelegenen Dorf Mölbis zum Beispiel fielen den Bäumen bereits im Mai die Blätter ab.

Vom Kohlewerk zur Umweltkatastrophe: Espenhains digitale Zeitreise


Aufgabe: Stell dir vor, du bist Staatschef der DDR und musst entscheiden: Soll das schmutzige und giftige Kraftwerk in Espenhain weiterlaufen oder erklärst du den Menschen, dass es in Zukunft weniger Strom und Benzin gibt? Wie würdest du dich entscheiden?

Nutzt eine Mindmap, um eure Gedanken zu sammeln. Stellt eure Ideen dann der Gruppe vor und diskutiert gemeinsam eure Entscheidungen.


3. Das Christliche Umweltseminar Rötha (CUR)

Das Christliche Umweltseminar Rötha (CUR) wurde 1982 gegründet und ging aus der Umweltarbeit der Kirchgemeinde Rötha hervor. Schon 1978 begannen junge Leute um Pfarrer Steinbach Bäume zu pflanzen und Umweltthemen zu diskutieren. Im Juni 1983 fand der erste Umweltgottesdienst in Mölbis statt, einem Ort nahe dem stark verschmutzten Braunkohleveredlungswerk in Espenhain. Das CUR setzte sich aktiv mit Informationsbroschüren, Gottesdiensten und Podiumsdiskussionen dafür ein, die Umweltprobleme sichtbar zu machen und das Bewusstsein dafür zu stärken.

Von 1983 bis 1989 organisierte das CUR zusammen mit der Kirche jedes Jahr einen Umweltgottesdienst unter dem Motto „Unsere Zukunft hat schon begonnen“. Das Bild wurde im Juni 1988 aufgenommen.
© Archiv Bürgerbewegung Leipzig / Jürgen Hanisch_Foto 028-002-011

Lückentext: Welche Wörter fehlen hier?


Vertiefung: Verborgene FreiheitWie Kirchen zu Protestorten wurden

In der DDR war es schwierig, sich öffentlich und kritisch zu äußern. Viele Protestgruppen fanden Schutz unter dem Dach der Kirche. Die Kirche bot einen Raum, in dem Menschen frei reden und sich organisieren konnten, ohne sofort von der Staatssicherheit (Stasi) verfolgt zu werden. Auch das CUR nutzte diesen Schutzraum, um über Umweltprobleme zu sprechen und aktiv zu werden.

Video: Der Zeitzeuge Tim Eisenlohr über das Verhältnis von Kirche und DDR

Rechteangaben

© Archiv Bürgerbewegung Leipzig

Audio: Gisela Kallenbach über die Kirche als Schutzraum für Umwelt-Engagierte in der DDR

„In der DDR war es ohne Vereinigungs- oder Versammlungsrecht unmöglich, sich frei und legal mit Gleichgesinnten zu organisieren. Doch die Kirche bot uns einen geschützten Raum, in dem wir uns treffen, Ideen austauschen und aktiv für unsere Überzeugungen eintreten konnten – sei es für Umweltschutz oder für die Wahrnehmung unserer Rechte. Sie war ein Ort der Freiheit in einem repressiven System.“

Bild: Archiv Bürgerbewegung Leipzig / Pia Pfeiffer

Rechteangaben

© Universität Hildesheim


4. Mit einer Mark gegen die Umweltzerstörung …

1987 starteten junge Leute die Aktion „Eine Mark für Espenhain“ – und das mit einer einfachen, aber kraftvollen Idee: Wenn viele Menschen nur 1 Mark spenden, kann sich eine Menge bewegen! Die Umwelt in Espenhain war zu dieser Zeit echt kaputt. Die Luft war so schmutzig, dass sie krank machte, Flüsse waren tot und Bäume starben. Mit ihrer Unterschrift und einer Mark konnte jeder helfen, darauf aufmerksam zu machen und etwas zu verändern. Über 25.000 Menschen machten mit und auch die sächsische Landeskirche und der Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR unterstützten die Aktion. So kämpften sie gemeinsam für eine bessere Zukunft – mit nur einer Mark pro Unterschrift!

Denkaufgabe: Wofür stand nochmal CUR? Jeder Buchstabe kann für etwas anderes stehen – aber nur ein Begriff ist der richtige. Finde ihn heraus.

Fakt: 1987 startete Walter Christian Steinbach die Protestaktion eine Protestaktion gegen die Umweltzerstörung durch Braunkohle. Schau dir das Video an und erfahre mehr.

Walter Christian Steinbach war 1987 einer der Initiatoren der Aktion „Eine Mark für Espenhain“, die sich gegen die massive Umweltverschmutzung im Braunkohlenveredlungswerk Espenhain richtete. Bereits 1975 trat er eine Pfarrstelle in Rötha an, mitten im Braunkohlegebiet. Dort wurde ihm das volle Ausmaß der Umweltzerstörung bewusst, die die marode DDR-Wirtschaft verursachte. 1982 gründete er mit anderen das Christliche Umweltseminar Rötha, um auf die dramatische Umweltsituation aufmerksam zu machen. Die Aktion sammelte heimlich Unterschriften und wurde zu einem bedeutenden Protest gegen die DDR-Umweltpolitik. Steinbach kämpfte unermüdlich für eine saubere Umwelt und den Schutz der Natur in der DDR.

Quelle: Archiv Bürgerbewegung Leipzig / Jürgen Hanisch Foto 028-002-067

Video: Walter Christian Steinbach – Wie trickse ich die Staatsmacht aus?

Teste dein Wissen: Worum ging es eigentlich?


5. Unterschriften sammeln ohne Risiko: Die trickreiche Idee hinter der Aktion

In der DDR war es offiziell verboten, nicht-staatliche Unterschriftenaktionen zu starten. Dies machte es sehr schwierig, öffentlich Kritik zu äußern und Unterstützung zu sammeln. Die Aktion „Eine Mark für Espenhain“ umging dieses Verbot geschickt: Statt nur Unterschriften zu sammeln, baten die Aktivisten um eine Spende von einer Mark für die Sanierung des Werks. Jede Spende wurde mit einer Quittung bestätigt, auf der die Spender ihre Unterschrift leisteten. So sammelte das CUR Unterschriften und machte gleichzeitig auf die Umweltprobleme aufmerksam, ohne direkt gegen das Verbot zu verstoßen.

Audio: Geheime Pläne und wilde Ideen: Ein fiktives Gespräch über den Protest in Espenhain

In diesem fiktiven Gespräch diskutieren Luise und Maik, wie sie gegen die Umweltverschmutzung durch das Werk in Espenhain vorgehen können, ohne dabei in Konflikt mit dem Staat zu geraten. Obwohl der Dialog erfunden ist, könnte er so oder ähnlich tatsächlich stattgefunden haben. Das Gespräch spiegelt die schwierige Lage und die Taktiken wider, die genutzt wurden, um dennoch etwas zu bewegen, ohne sich strafbar zu machen.

Rechteangaben

© Archiv Bürgerbewegung Leipzig

Sortieraufgabe: Ordne die einzelnen Schritte der Spendenaktion unten in die richtige Reihenfolge!

Erfolg und Wirkung der Aktion

Das CUR sammelte innerhalb eines Jahres rund 100.000 Mark und ebenso viele Unterschriften. Diese Aktion war die größte illegale Unterschriftensammlung in der DDR. Begleitet wurde sie von Informationsmaterialien wie Diashows und Broschüren, die von Ingenieur:innen und Ärzt:innen unterstützt und ständig aktualisiert wurden. Die gesammelten Gelder bildeten nach der Währungsunion den Grundstock für eine Stiftung, die sich weiterhin für die Umwelt im Südraum Leipzig einsetzt.

Na, gut aufgepasst? Wie viele Unterschriften sammelte das CUR innerhalb eines Jahres?


6. Rückblick und „Was kommt jetzt?“

Jetzt seid ihr gefragt! Wenn ihr an die Aktion „1 Mark für Espenhain“ zurückdenkt: Um was ging es damals eigentlich? Wer war alles dabei und was hat sich verändert? Und was denkt ihr heute darüber?


Kreativität war damals der Schlüssel, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Auch heute geht es darum, mit coolen Ideen aufzufallen – besonders in den sozialen Medien, wo ohne Reichweite keiner mitbekommt, was ihr zu sagen habt!

Eure Aufgabe: Überlegt euch in Kleingruppen, wie ihr heute eine Umwelt-Protestaktion starten würdet. Dann gestaltet einen fiktiven Instagram-Post, der eure Aktion richtig ins Rampenlicht stellt. Zeigt eure Posts den anderen – wie würdet ihr heute auf eure Sache aufmerksam machen?